So ein Zirkus

Ein einziger Satz machte Nitze zum Kämpfer. Ortsvorsteher Dieter Rommelmann soll ihn gesagt haben, bei einer Sitzung des Heimatvereins, und bei Dieter Nitzke ist er eingeschlagen wie ein Blitz. „Solch einen Zirkus wie in Cammer“ brauche Päpinghausen nicht, soll Rommelmann gesagt haben (was er bestätigt).

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Sorge um Päpinghausens Zukunft

Monika Jäger

 

Minden (mt). Schäfchenwolken, weite Felder, viel Grün: Päpinghausen ist schön. Doch da ist auch die andere Seite: Der Ort hat mit den Jahren seine Infrastruktur verloren. Keine Bank, keine Apotheke, kein Lebensmittelgeschäft, mittendurch eine Bundesstraße und gleich nebenan Tierheim und Gewerbegebiet. Mit dem Bus in die Stadt dauert es etwa eine Stunde. Besuche im Klinikum mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Eine halbe Weltreise Und jetzt soll auch noch im Norden ein Industriegebiet entstehen.

Manche, so wie Dieter Nitzke und Klaus Wiese, sind überzeugt, dass sie jetzt, sofort dagegen angehen müssen: „Man kann nicht früh genug anfangen.“ Sie gründeten eine Bürgergemeinschaft. Andere, so wie die Vereinsvertreter und Ortsvorsteher Dieter Rommelmann, denken: Solange nicht klar ist, was geplant wird, sollten sich die Dörfler nicht verkämpfen: „Wir müssen das beste für unser Dorf rausholen, konkrete Forderungen stellen, die uns davor schützen, von einem Industriegebiet erschlagen zu werden.“ Und so hängt der Dorffrieden schief in Mindens kleinestem Ort. Jedenfalls ein bisschen.

Ein einziger Satz machte Nitze zum Kämpfer. Ortsvorsteher Dieter Rommelmann soll ihn gesagt haben, bei einer Sitzung des Heimatvereins, und bei Dieter Nitzke ist er eingeschlagen wie ein Blitz. „Solch einen Zirkus wie in Cammer“ brauche Päpinghausen nicht, soll Rommelmann gesagt haben (was er bestätigt). Hat er auch gesagt, dass ja auch Bauern im Ort ihr Land verkaufen wollen? Manche, die dabei waren, meinen: Nein. Nitzke aber ist sicher, dass der Satz so gefallen ist. Und seither hat er eine Mission: Er will seine Heimat erhalten, die satten Wiesen und den weiten Blick. Er, der viele Jahre selbst als Moderator und Konfliktmanager gearbeitet hat, ist sicher: In dieser Frage kann es nur eine einzige richtige Position geben. Und das ist „Dagegen“.

In Klaus Wiese hat er einen Mitstreiter gefunden, der sogar im „anderen“ Teil des Dorfes lebt. Denn NItzke selbst ist vom „Busch“ – dem neueren Stück Dorf, dessen Entstehung er auch als eine Geschichte der Ausgrenzung erzählt: Als die Flüchtlinge aus dem Osten nach dem Krieg untergebracht werden sollten, wehrten sich die Dorfbauern mit nächtlichen Obstbauanpflanzungen dagegen, dass ihr Land verwendet wurde. Also, so erzählt es Nitzke – und Ortsvorsteher Rommelmann bestätigt das – , seien die Neubürger ein Stück ab vom Dorf, angesiedelt worden.

Für Nitzke ist das eine Trennung, die bis heute nachwirke. Denn wenn das Industriegebiet komme, dann hielten sich „die“ im Dorf für geschützt, hinter Bahndamm und Straße. Aber gegen Gift und Abgase helfe das nicht. Wenn Nitzke an das künftige Industriegebiet denkt, dann sieht er qualmspuckende Fabriken, lärmende Anlagen, riecht ätzenden Rauch, hört Filteranlagen knallen, Lkw 24 Stunden an- und abfahren. Schon jetzt gebe es viel zuviele Auswirkungen des bereits bestehenden Industriegebiets und des Tierheims: „Bei Ostwind ist es, als sitzen die Hunde bei mir im Garten.“

Gelassen sind allerdings auch die Vertreter der Vereine nicht, die zum Gespräch mit dem MT ins Dorfgemeinschaftshaus gekommen sind. Sabine Hoppmann-Lücke (Heimatverein) meint pragmatisch: „Wir werden es nicht verhindern können. Aber wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht drunter leiden.“ Sie ist noch unsicher, wann der richtige Zeitpunkt ist, um laut und aktiv zu werden. „Erstmal müssen wir wissen, was genau geplant ist.“ Auch Günter Schönbeck (Trägerverein Dorfgemeinschaftshaus) findet: „Wir müssen mit einer Stimme reden; wir können das doch am Ende nur gemeinsam schaffen.“

 

Gemeinsam – das wollten auch Nitzke und Wiese. 74 Personen aus dem „Dorf“ und 51 aus der „Siedlung“ unterschrieben, sie seien „gegen die riesige Ausweitung des Industriegebiets Minden-Ost“. Zu den Zusammenkünften kamen anfangs auch junge Familien, die sich um die Sicherheit ihrer Kinder beim Weg zur Schule und auf den Straßen Gedanken machten. Die Unterschriftenliste ging an den Bürgermeister – „lieber Michael“ – Nitzke ist SPD-Mitglied.

 

Doch inzwischen besteht die Initiative nur noch aus den zwei Männern. Nitzke sagt: „Wir sind verantwortlich für die Welt, die wir unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen. Für diese müssen wir mit aller Kraft kämpfen.“ Aber dass er nun auch gegen den Ortsvorsteher (der übrigens sein Nachbar ist) angeht, helfe dem Dorf nicht, finden die anderen. Das sagt ihm auch beim Gespräch im Dorfgemeinschaftshaus Frank Lahmann (Heimatverein): „Es gibt hier nicht Dorf und Busch, es gibt nur Päpinghausen, und wir müssen zusammenhalten.“

Der Ortsvorsteher hat neulich der Stadt eine Liste von Wünschen der Dörfler vorgelegt. Ein Bürgersteig für die Päpinghauser Straße, die Dachsanierung des Dorfgemeinschaftshauses, eine Schulbushaltestelle, und Reparaturen für den Spielplatz stehen da drauf: „Für unsere Zukunft.“

Was ist in Päpinghausen geplant?

Zurzeit ist für OWL eine neuer Regionalplan in Arbeit. Darin geht es auch darum, welche Flächen in Zukunft für welchen Zweck genutzt werden. Der Kreis Minden-Lübbecke hat dazu 2018 einen sogenannten Fachbeitrag erstellt und mit den Städten diskutiert, der in den Plan einfließen wird.

Bereits Anfang 2020 sollen der formelle Erarbeitungsbeschluss des Regionalrats und damit ein erster grober Plan vorliegen –„damit die Region diskutieren kann“, so Mindens Bau-Beigeordneter Lars Bursian. Spätestens bis Ende 2022 soll diese regionale Gestaltung in ein Gesamtkonzept geformt werden.

Danach erst haben die Kommunen die grundsätzliche Möglichkeit, neue Flächen für Wohnen oder Industrie auszuweisen. Doch auch das geht nicht per Federstrich. Bei allen Veränderungen müsste in Minden zunächst der bestehende Flächennutzungsplan geändert werden. Dazu wären politische Entscheidungen in Fachausschuss und Rat nötig.

 

Das Gebiet zwischen Minden und Petershagen entlang der B 482 könnte dabei ein interkommunales Industriegebiet werden. Hier gibt es bisher grob zwei Entwicklungsbereiche. Der größere Teil, das landwirtschaftliche Gebiet zwischen Päpinghausen und Petershagen, das hinter dem Tierheim beginnt, kann laut Bursian zurzeit wegen fehlender landesplanerischer Vorgaben nicht in der Nutzung verändert werden: „Tiefer steigen wir da im Moment nicht ein.“ Es könne sein, dass über diese Flächen erst in 20 Jahren diskutiert werde – allerdings je nach wirtschaftlicher Entwicklung auch früher. Am Ende werde aber die Politik über alle Änderungen zu entscheiden haben.

Bursian macht auch deutlich: Da, wo keine Wohnbebauung in der Nähe ist, hielte er es für sinnvoll, Industrieanlagen (und nicht nur emissionsärmeres Gewerbe) zu ermöglichen. Das sei für Minden langfristig wichtig: „Im Moment können wir gar keine Gewerbe- oder Industrieflächen mehr anbieten.“

Und darum ist das kleinere Gebiet direkt nördlich der Karlstraße, das an das bestehende Gewerbeareal angrenzt, aus Sicht Bursians wichtig. Hier hat die Stadt die Aufstellung eines Bebauungsplanes und die Änderung des Flächennutzungsplans eingeleitet. Dafür hat sie sich von der Bezirksregierung die Genehmigung geholt, das Päpinghauser Gewerbegebiet nach Norden auszuweiten. Die Bezirksregierung stimmte der Veränderung von einem landwirtschaftlich genutzten zu einem Gewerbegebiet auch wegen des engen Bezugs zum bestehenden Gebiet und zum Regioport sowie wegen der Verkehrsanbindung an die B 482 zu.

Der Mindener Fachausschuss stimmte am 4. Mai 2018 zu, dass auf dieser Grundlage die Bauleitplanung erstellt wird. Damit hat die Stadt inzwischen ein Planungsbüro beauftragt. Zurzeit werden diverse Fachgutachten erstellt – etwa zu Verkehr, Emissionen und Artenschutz. Bis Ende diesen Jahres sollen diese vorliegen. Bursian: Wie es zeitlich und inhaltlich dann weitergeht, könne erst gesagt werden, wenn die Gutachten vorliegen. Auch, welche Art von Gewerbe dort angesiedelt werden könnte, sei „noch unklar“, auch das hänge vom Fachgutachten ab. Aber er gehe davon aus, dass von Gewerbebetrieben, die bereits im benachbarten Gebiet existieren, Nachfrage zu Erweiterungen bestehe. In jedem Fall solle „viel Rücksicht auf gesunde Wohn- und Lebensverhältnisse“ genommen werden“. Dazu, ob die Stadt die Flächen bereits angekauft hat und welche Betreiber Interesse signalisiert haben, macht er keine Angaben.

Für Anfang 2020 plant die Stadt eine frühzeitige Bürgerbeteiligung und -information, „Wir wollen vor Ort noch mal alles transparent vorstellen.“ Am Ende entscheidet dann der Stadtrat: „In Hinterzimmern machen wir hier gar nichts.

 

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